Jacques Herzog, bodenständiger Kosmopolit mit grosser Verbundenheit zu unserer Region, prägt als Visionär die Architektur weltweit wie kaum ein anderer Basler in unserer Zeit. Zusammen mit Pierre De Meuron und seinem Team verwirklicht er Projekte auf dem ganzen Globus. Sein Wirken geht längst über die reine Architektur hinaus.

Dies unterstreicht selbst Weltstar Kanye West mit seiner gerappten Textzeile: «Ich bin begeistert, dass Herzog & de Meuron aus Basel die Zukunft gestalten.»

Daniel Nussbaumer, Projektleiter der Genusswoche Basel, konnte mit Jacques Herzog über Slow Food, das Potenzial des Essens, die lokale Identität und radikale Ansätze, die Zersiedlung in der Schweiz zu stoppen, sprechen.

Jacques Herzog, Sie haben an der Expo in Mailand 2015 zusammen mit der Organisation Slow Food einen Pavillon errichtet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Zusammen mit Stefano Boeri, Ricky Burdett und William McDonough habe ich ursprünglich ein ganzes Konzept für diese Weltausstellung entwickelt, in dem die gesamte Expo dem Thema Ernährung gewidmet war. Wir wollten keine Länderpavillons wie bei den bisherigen Weltausstellungen, sondern thematische Pavillons. Ziel war ein nachhaltiges Projekt, bei dem das Ausstellungsgelände nach der Expo zu einer Vorzeigeanlage für nachhaltige urbane Agrarproduktion wird. Doch dieses Konzept war zu progressiv und visionär und wurde so nicht umgesetzt. Unser Pavillon war letztlich der Versuch, im kleinen Rahmen das umzusetzen, was im Ganzen nicht möglich war. 

Wir haben mit Carlo Petrini, dem Gründer von Slow Food, zusammengearbeitet und auch das ETH Studio Basel einbezogen. Uns interessierte dabei, wie hoch der Anteil an Selbstversorgung in einer Stadt wie Basel heute ist und wie gross ein Radius um die Stadt sein müsste, um sie zu versorgen. Um dieses Thema kümmerte ich mich sehr intensiv und es beschäftigt mich weiterhin, weil es auch in die heutige Stadtplanung eingreift. 

Sie haben also den Pavillon in Mailand nicht nur gestalterisch, sondern auch inhaltlich und konzeptionell geprägt?

Ja, die Themen, Formen und Materialien unterliegen nicht einfach einem ästhetischen Geschmack, sondern sie haben auch eine inhaltliche Bedeutung, sie thematisieren, suggerieren oder unterstützen den Inhalt.

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Carlo Petrini sagte, dass die Erwartungen völlig übertroffen worden seien, er bezeichnet Herzog & De Meuron als einen der wenigen Partner, der seine Philosophie vollkommen verstanden hat und sie selbst lebt. Wie sehen Sie das?

Ich sehe Carlo Petrini als leidenschaftlichen Kämpfer für seine Sache: eine nachhaltige, biologische Nahrungs­produktion und Verarbeitung dieser Produkte. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass wir fähig oder willens wären, dies quasi auf architektonischer Ebene ausdrücken zu können, aber uns interessiert die Thematik sehr. Wir alle, gerade in der Schweiz, wo wir sehr verwöhnt sind und es uns leisten können, wollen doch nachhaltig produzierte Produkte auf dem Tisch haben. 

Bei einem Ihrer Interviews gehen Sie auf das Potenzial der Architektur ein und sprechen davon, dass diese identitätsstiftend, kunstvoll und sogar selbsterkennend sein kann und sich nicht auf die blosse Erschaffung von Wohnraum beschränkt. Das Thema Essen war nach der Industrialisierung schon fast auf die reine Verpflegung reduziert worden. Ergibt sich hier eine gewisse Parallele?

Es wäre ratsam, mit einer gewissen Achtsamkeit durchs Leben zu gehen. Dazu gehört das Essen, das ja eine besonders wichtige und lustvolle Tätigkeit ist. Es haben nicht alle Menschen gleichen Zugang zu Nahrungsprodukten, wir in der Schweiz sind privilegiert. Trotzdem nehmen das viele nicht wahr und leben das nicht.

Essen ist eine grosse Quelle der Lebenslust, ebenso das bewusste Trinken. Wein ist ein besonders interessantes Getränk – Herkunft, Traubensorte, Jahrgang, Machart, Glasform, Temperatur beim Ausschank … das ist schon sehr komplex! Als Architekt hat man Kontakt zu vielen völlig verschiedenen Menschen und Berufen. Besonders, da wir weltweit tätig sind, treffen wir tolle Menschen, auch aus der Welt des Weins. Mit und für den vielleicht bedeutendsten Weinmacher der Welt, Christian Moueix, durften und dürfen wir Weingüter bauen. Im Napa Valley und zurzeit eben in St. Émilion. Das sind glückliche Fügungen, die meinen Beruf mit meinen persönlichen Interessen in Verbindung bringen. 

«Es besteht die Gefahr, dass der Mensch heute alles auf das Sehen reduziert.» Jacques Herzog

Sie haben einmal von archaischen Urmustern in der Architektur gesprochen, denen man sich bedient, um die Urbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Beim Essen gibt es so etwas ja auch, zum Beispiel beim Kochen auf offenem Feuer. Können Sie sich erklären, warum wir auch in der Moderne dieses Bedürfnis nach Urmustern noch immer spüren?

Wir sind immer noch mit unseren fünf Sinnen ausgestattet und sollten sie alle aktiv einsetzen, damit du das, was du hörst, auch wirklich hörst, das, was du siehst, auch wirklich siehst, und merkst, wenn ein Tag leicht anders ist als der Tag davor oder danach. Es gibt andere Lebewesen, die besser hören, riechen oder tasten können, aber wir Menschen verfügen über eine gute Mischung dieser Sinne. Die Architektur ist eine Disziplin, die alle fünf Sinne verbindet. Materialien fühlen sich unterschiedlich an, sie klingen unterschiedlich und sehen natürlich anders aus. Es besteht die Gefahr, dass der Mensch heute alles auf das Sehen reduziert. Und hier gibt es wiederum auch eine Verbindung zum Essen: Es ist natürlich toll, wenn eine Speise gut aussieht, aber sie sollte dann natürlich auch gut schmecken und riechen. 

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In Ihren Visionen und Aufsätzen setzen Sie sich sehr dezidiert gegen die Zersiedlung ein. Ist das nicht etwas paradox für einen Architekten, sich so visionär gegen die Bebauung einzusetzen?

Die wachsende Bevölkerung und die Ausdehnung der Siedlungen in alle Richtungen erfordert in einem kleinen Land wie die Schweiz besondere Massnahmen, dies zu steuern, damit wir keinen Siedlungsbrei generieren. Das Bild der Schweiz sind ja die Berge und Wiesen, Gletscher und Seen, wir definieren uns auch über die Landschaft. Wenn wir stetig weiterbauen, zerstört das unsere Lebensgrundlage. Als Architekt und Urbanist habe ich die Pflicht und auch das Interesse, dies zu thematisieren. H&dM engagiert sich für eine sehr breite, ganzheitliche Auffassung von Architektur und Städtebau. Dazu gehört eben auch die ganze Produktionskette von Nahrungsmitteln. Das greift alles ineinander. 

Sie schreiben vom Siedlungsbrei im Mittelland als Ausdruck von Abgrenzung, Neid und Misstrauen. Dazu kommt, dass heute im Mittelland eine kleinere Biodiversität vorzufinden ist als in Städten. Um dies zu ändern, braucht es einen radikalen Wandel. Ist dieser Wandel in einem föderalistischen System überhaupt möglich oder bleibt das eine Zukunftsutopie?

Wandel kann in einem föderalistischen System bottom-up erfolgen. Jede Stadt und jede Region ist gefordert, auch private Thinktanks oder Institute. Also nicht warten, bis etwas vom Staat diktiert wird. Mit dem ETH Studio Basel haben wir eine Studie über die Schweiz lanciert, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Siedlungspolitik hat. Sie hat Eingang in amtliche Dokumente des Bundes gefunden und beeinflusste das ganze Raumplanungsgesetz. 

Durch Ihr weltweites Wirken sind Sie einerseits ein Kosmopolit, andererseits aber auch stark in Basel verankert. Wie wichtig ist für Sie die regionale Vielfalt in einer globalisierten Welt?

Jeder lebt irgendwo und es ist wichtig, dass man sich dort engagiert. Andererseits ist es wichtig, dass man sieht, dass der Wohnort nicht der Nabel der Welt ist. 

Wir bringen uns in Basel mit unserem Kulturengagement ein. Unsere Kabinett Stiftung hat vor wenigen Jahren zum Beispiel die Fotosammlung meines Bruders erworben, damit diese in Basel bleiben kann. Das Ziel ist es, dadurch die Museen in Basel zu stärken. 

Und auch durch Ihr Schaffen erhalten Sie die jeweilige regionale Identität, indem Sie nicht überall das Gleiche machen.

Die Welt ist gross und es sieht überall ein bisschen anders aus! Da ist es angemessen, dass die Architekturen entsprechend verschieden sind. Orte haben doch ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Nicht nur bezüglich Klima oder Bodenbeschaffenheit, sondern auch in Bezug auf die kulturellen Prägungen. Darauf muss man sich als Architekt einlassen wollen. Das ist ja auch das Spannende an unserem Beruf!

Genusswoche Basel 2020

Unter dem Motto «Gemeinsam für das Lokale!» startet am 17. September die zweite Genusswoche Basel.

Das gesamte Programm gibts unter: genusswochebasel.ch

Dieser Partner-Content ist in Kooperation mit unserem Partner «Genusswoche Basel» entstanden.
Genusswoche Basel
Die Genusswoche Basel findet im Rahmen der Schweizer Genusswoche statt. Sie fördert den Genuss und die Freude am guten Essen und lädt dazu ein, die Genussvielfalt Basels mit einem Fokus auf Regionalität, Saisonalität und Handwerk zu entdecken.