Verschwundene Elefanten, halbnackte Tänzerinnen und weltberühmte Muskelprotze in der «Steine»? Kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Das Buch «Basels Weltvariété – Karl Küchlin und sein Theater» erzählt von verrückten Jahren voller Glamour und Ruhm. Von einem Stück überraschender, unterhaltsamer Stadtgeschichte.

Es hat’s mal wieder ein Buch geschafft, mich in eine andere Welt zu katapultieren. Nicht in eine andere Stadt allerdings, denn die sagenhafte Geschichte spielt in Basel, genauer: In der mir in der Regel ein Gähnen entlockenden «Steine». Hier eröffnete der 1864 in Lörrach geborene Karl Küchlin – gelernter Metzger – 1912 ein Variété-Theater, das in der ganzen Welt berühmt wurde. Wie das?

 

Der Basler Verkehrsverein engagierte den deutschen Karl Küchlin Anfang 1900. Er betrieb damals in Freiburg im Breisgau diverse Gaststätten, organisierte bekannte Variété-Abende und hatte einen einwandfreien Leumund – der richtige Mann für Basel also. Weil die Zürcher just im Frühjahr 1900 ihr Corso-Theater eröffneten, mussten die Basler Gas geben. Am 1. Oktober 1900 war's soweit; das erste Variété-Programm im neuen Cardinal-Theater in der Freien Strasse 36 (heute Zara) stand. Jongleure, Akrobatinnen, Kontorsionisten, Bauchredner, Clowns, Sängerinnen und zahlreiche aus heutiger Sicht kuriose Nummern gab es zu sehen. Tierstimmen-Imitatoren zum Beispiel, Glaseuphonium-Virtuosen, Schnelldichter, Klavier-Humoristen oder Konzertpfeifer. Hach, das hätte ich gern gesehen!

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Das «Kiechli» heute: Fassade und Grosser Saal sind denkmalgeschützt.

Auch heute Undenkbares wurde fröhlich präsentiert: einbeinige Künstler, tanzende Zwerge oder komische Negertänze. Zum Teil malten sich europäische Tänzerinnen schwarze Farbe ins Gesicht, um als lustige «Negerin» auf der Bühne durchzugehen. Crazy shit! Den Baslerinnen und Baslern wurde das volle Programm geboten. Beste Unterhaltung zu Speis und Trank, alle zwei Wochen fand eine Premiere statt. Stell dir vor: In den ersten sieben Spielzeiten waren 830 Nummern mit über tausend Künstlerinnen und Künstlern zu sehen! Die Baslerinnen und Basler kamen in Scharen. Bald war das Cardinal-Theater zu klein. Also erwarb Karl Küchlin ein Grundstück in der nicht sehr mondänen Steinen - dort gab's damals noch keine geteerte Strasse und die übelst stinkende Birsig floss durchs Quartier. Nichts desto Trotz; Karl Küchlin sah Potential und baute hier sein Denkmal.1912 wurde Küchlin’s Variété Theater eröffnet – der Name steht bis heute an der Fassade, musst dich mal achten. 

 

Das Theater bot rund 1000 Sitzplätze, 1500 Leute hatten Zutritt – mehr als im Stadttheater. Und die Stars kamen. Alle. Josephine Baker stand im Bananenröcklein auf der Bühne, Clown Grock, Hans Albers, Heinz Rühmann oder die Comedian Harmonists waren da, letztere sogar noch während des Zweiten Weltkrieges, als sie in Deutschland nicht mehr auftreten durften. Das Küchlin-Variété genoss nicht nur in Basel, sondern auch in Paris, Berlin und New York ein hohes Ansehen. Wenn ich heute durch die Steine spaziere, kann ich mir diese schillernde, leicht verruchte Zeit gar nicht mehr vorstellen. Hier wurden einst Elefanten von der Bühne gezaubert, hier tanzten Hunde im Rhythmus der Musik, wurden Krokodile hypnotisiert? Verrückt, das alles. 

 

Seit 1950 ist das «Kiechli» ein Kino. Und immer noch eines der ältesten noch bestehenden Variététheater-Bauwerke der Schweiz. Der Steine würde ein bisschen Küchlinscher Glamour eigentlich auch heute noch ganz gut stehen, finde ich. 

 

Zum Buch:

«Basels Weltvariété – Karl Küchlin und sein Theater» von Thomas Blubacher ist hier erhältlich.

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