Sie heissen Bruna, Janis und Scirocco und sie arbeiten fünf Tage die Woche auf dem Novartis-Campus. Ihr Job: Tauben und Krähen Angst einjagen, damit die sich eine neue Bleibe suchen und ihr Geschäft woanders verrichten. Über einen jungen Falkner aus Italien, der mit seinen Greifvögeln in der Stadt gefragter ist denn je.

Die Krähen auf dem Novartis-Campus sind aufgeregt. Grund für ihr Geschrei: Janis. Die Wüstenbussard-Dame sitzt ruhig, aber mit überaus wachem Blick auf der Hand von Simone Cilluffo. Ihre pure Anwesenheit macht die Krähen rasend. Sie wissen: Mit Janis ist nicht zu spassen. Besser schnell weg hier.

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Seit rund drei Jahren sorgt Simone Cilluffo mit seinen Greifvögeln auf dem Novartis-Campus dafür, dass sich hier weder Tauben noch Krähen entspannt vermehren. «Als ich auf dem Campus begonnen habe, waren Wege, Dächer und Plätze voller Vogeldreck», erinnert er sich. «Die Novartis musste die Anlage regelmässig reinigen lassen – die Beseitigung des Problems mit meinen Tieren ist da kostengünstiger und sehr viel ökologischer», grinst er.

Es gibt Orte, die sind nach unserem Einsatz für Jahre frei von Übeltätern.

Was Simone mit seinen Tieren macht, nennt sich Vergrämung. Mit der Falknerei lassen sich Vogelplagen nämlich überaus wirkungsvoll bekämpfen. «Es gibt Orte, die sind nach unserem Einsatz für Jahre frei von Übeltätern. Andernorts gehe ich einmal pro Woche mit meinen Tieren vorbei. In der Novartis ist das Areal jedoch so gross, dass ich mit meinen Vögeln an fünf Tagen die Woche vorbeikomme, um die unerwünschten Gäste fernzuhalten.» Fast könnten einem die Krähen und Tauben, die sich auf dem Novartis Campus zwischen Architektur von Frank Gehry, Skulpturen von Richard Serra und Kunst von Jenny Holzer bewegen, etwas leidtun. Schliesslich beweisen sie mit der Wahl ihres Aufenthaltsortes guten Geschmack.

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Doch weder Bussard-Dame Janis noch Falkenlady Bruna oder Scirocco, Simones zweiter Falke, haben Verbarmen mit den üblen Scheissern. Sie fliegen mit bis zu 300 km/h über das Areal und jagen den Tauben und Krähen eine dermassen irre Angst ein, dass die sich meist schnell dazu entschliessen, sich anderswo anzusiedeln. Die Problemvögel auf dem Novartis-Campus werden also nicht gejagt oder getötet, sondern lediglich davon überzeugt, dass sie in einem Raubvogel-Territorium leben, was definitiv ein zu gefährliches Pflaster ist, um hier eine Familie zu gründen. 

Seit über zehn Jahren ist die Falknerei Simones Leidenschaft. Der gebürtige Turiner reiste als Paraglider um die Welt, als er in Indien eine eindrückliche Begegnung mit einem Raubvogel hatte. «Dieses Tier war unglaublich», erinnert sich Simone. «Es schien keinerlei Angst zu haben und drehte mit mir auf rund 1500 Metern in der Luft seine Runden.» Das Erlebnis beeindruckte ihn dermassen, dass er begann, sich mit der Welt der Raubvögel auseinanderzusetzen. Als er am Flughafen von Turin schliesslich einen Falkner kennlernte, der dort hauptberuflich ungewünschte Vögel vertrieb, wusste er: Das ist es. Nachdem sein Jugendtraum einer Fussballer-Karriere geplatzt und er als Friseur durch Italien getingelt war, nachdem er seine Paragliding-Leidenschaft entdeckt und sich als Pizzaiolo sein Leben in der Luft finanziert hatte, erklärte er die Jahre der Suche für beendet. 25 Jahre alt war er, als er sich entschied, fortan mit Greifvögeln zu arbeiten. Innerhalb kürzester Zeit trainierte er sich das nötige Wissen im Umgang mit den Tieren an und arbeitet seither rund um die Uhr mit ihnen.

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In der Natur fliegen die Tiere nur, um zu jagen, also wenn sie hungrig sind.

Besonders gerne mag er grosse Falkenarten wie Sakerfalken und Adler. Etwas schwieriger findet er den Umgang mit männlichen Bussarden. «Die mögen mich einfach nicht», lacht er. «Ich hatte einmal einen Bussard, der attackierte mich ständig und selbst wenn ich sein Essen in der Hand hielt, flog er lieber zu meiner Freundin.» Aktuell arbeitet Simone mit drei Vögeln; den Falken Bruna und Scirocco und der Wüstenbussard-Dame Janis. Alle drei benötigen sehr viel Aufmerksamkeit und Pflege. Damit sie ihr optimales Fluggewicht haben, muss Simone die Tiere täglich wägen, Essensrationen planen und schauen, dass sie genügend Muskelmasse haben. «In der Natur fliegen die Tiere nur, um zu jagen, also wenn sie hungrig sind. Dann fressen sie sich dermassen voll, dass sie sich drei Tage lang nicht mehr bewegen», erklärt Simone. Dieses Verhalten ist für seine Arbeit ungünstig.

«Heute Nachmittag hat Janis unerwartet eine lebende Maus gefressen. Es muss eine sehr dumme Maus gewesen sein, denn Janis war an der Leine und hat die Maus nur mit der Kralle gekriegt», lacht Simone. «Das Problem ist nun, dass ich sie heute nicht mehr fliegen lassen kann, weil ich sie nach dem Flug erneut füttern müsste.» Ein Greifvogel, der Jagen soll, muss nämlich in bester körperlicher Verfassung sein – er ist wie ein Hochleistungssportler, darf kein Gramm Fett zu viel haben. Janis fliegt also nicht an unserem Treffen, dafür ist sie ein gutes Fotomodell. Bruna hingegen pfeilt blitzschnell über die Wiese am Rhein, während Simone sie mit einem Federspiel, einer Beuteattrappe, motiviert. Nach der Landung auf Simones Lederhandschuh bekommt Bruna zur Belohnung eine Wachtel. Die isst sie samt Federn und Knochen. Es knackst und Simone muss aufpassen, dass sein weisses T-Shirt auch weiss bleibt.

 

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Jedes von Simones Tieren hat einen eigenen Charakter. Manche sind eher faul, andere wollen immerzu arbeiten. Auch krank sind sie hin und wieder oder sie haben mal einen schlechten Tag. Es ist wie bei einem herkömmlichen KMU, nur sind die Mitarbeitenden hier Tiere. Um seine Aufträge bei der Novartis und an anderen Orten in der Stadt und auf dem Land wahrnehmen zu können, braucht Simone dringend Verstärkung. «Morgen hole ich in Bayern eine weitere junge Falkendame. Zuhause werde ich dann in einem dunklen Raum mit wenig Licht damit beginnen, sie an mich zu gewöhnen. Ganz langsam und behutsam werde ich versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen, ihr mit meinem Verhalten beweisen, dass sie keine Angst vor mir zu haben braucht.» Sich einen Greifvogel zum Freund zu machen, bedeutet Arbeit rund um die Uhr. Dafür hält die Freundschaft dann ein Leben lang. «Die Vögel sind intelligent und haben ein sehr gutes Gedächtnis», so Simone. «Ein Adler zum Beispiel wird sich in zehn Jahren noch daran erinnern, wenn er mit dir einst eine ungute Begegnung hatte …»

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Über dem Novartis-Campus geht langsam die Sonne unter. Auf dem Dach neben dem Gehry-Gebäude blicken Simone und Janis über die Stadt. Keine Krähe, keine Taube weit und breit. Genug Präsenz markiert für heute. Die beiden machen sich auf den Heimweg. Morgen, wenn sie die Maus verdaut hat, darf Janis wieder über den Campus fliegen. 

Alle Fotos: Dirk Wetzel

SWISS FALCONRY

Simone Cilluffo

swissfalconry.com